Biodiversität, Böll Thema

Text und Recherche für die Bildkolumne “Das große Krabbeln”, veröffentlicht im Magazin Böll Thema “Biodiversität”.

Das große Krabbeln

Schätzungsweise gibt es zwischen 5,5 und 10 Millionen verschiedene Insektenarten. Doch viele dieser Arten sind stark durch den Klimawandel und die Landwirtschaft bedroht. Ein Blick auf einzelne Arten verrät so einiges darüber, warum es der Schutz der Insekten so wichtig ist.

Sie kriechen, fliegen, springen, sind perfekt getarnt oder grell gefärbt – die Welt der Insekten ist unglaublich vielfältig. Zwischen 5,5 und 10 Millionen verschiedene Arten könnte es schätzungsweise geben, nur eine Million davon ist bisher beschrieben. Aber die Gesamtzahl und Artenvielfalt der Insekten geht dramatisch zurück. Zu den Hauptursachen gehören die intensive Landwirtschaft und der Klimawandel. Dabei spielen viele Insekten eine zentrale Rolle in der Landwirtschaft, sie verbessern die Bodenqualität, verwerten tote Pflanzen und Tiere und bestäuben 80 Prozent der Kultur- und Wildpflanzen. Insekten sind außerdem die Nahrungsgrundlage für viele andere Arten. Höchste Zeit, sich ein paar hiesige Vertreter genauer anzusehen.

Mooshummel

Hierzulande gibt es circa 600 Bienenarten, darunter knapp 40 Hummelarten. Etwa die Hälfte der Bienen-arten ist in ihrem Bestand gefährdet oder bereits ausgestorben. Im Gegensatz zu den meisten anderen Wildbienen haben Hummeln eine soziale Lebensweise. Die Mooshummel ist stark gefährdet und lebt vor allem in blütenreichen Feuchtgebieten. Man erkennt sie an ihrer auffälligen, gelborange bis rötlichbraunen Färbung. Sie legt ihre Nester, die von 50-120 Tieren bewohnt werden, in Grasbüscheln oder unter Moos an. Als Poketmaker lagert sie Pollen in Taschen, die um die Brutwaben herum angelegt sind, und versorgt so die Larven. Ihre Nahrung sucht die Mooshummel im unmittelbaren Umkreis von etwa 100 Metern. Wie andere Hummeln kann sie elektrische Felder durch feine Härchen am Kopf wahrnehmen und erkennt so, ob schon ein Artgenosse an einer Blüte war. Die zunehmende Blütenarmut von Wiesen ist für sie sehr problematisch, durch Mähen sind zudem ihre Nester stark gefährdet.

Köcherfliegen

Bei 96 Prozent der 300 Köcherfliegenarten ist der langfristige Bestandstrend rückläufig, damit sind sie im Insektenreich traurige Rekordhalter. Der Ausbau von Gewässern und die Einleitung von Pestiziden aus der Landwirtschaft bedrohen die Köcherfliegen, da ihre Larvenbildung und Metamorphose überwiegend im Wasser erfolgt. Erwachsene Köcherfliegen leben an Land. Die unscheinbaren Wesen tragen wesentlich zur Reinhaltung unserer Gewässer bei und sind ein Bioindikator für deren Qualität. Vielen Fischarten dienen sie als Nahrung. Aber Köcherfliegen sind auch talentierte Architekten. Die Larven vieler Arten bauen mit Hilfe eines Spinnsekrets beeindruckende Wohnröhren, die namensgebenden «Köcher». Je nach Art und angepasst an die Fließgeschwindigkeit der Gewässer nutzen sie für ihre Schutzhüllen Steinchen, Sandkörner und Pflanzenstücke. Andere Arten bauen Netze, um ihre Nahrung aus dem Wasser filtern.

Wiesenschaumzikade

Nur knapp die Hälfte der über 600 Zikadenarten wird noch als ungefährdet eingestuft. Sie sind besonders auf extensiv beweideten Flächen zu finden und bilden eine wichtige Nahrungsgrundlage für Spinnen, Ameisen und bestandsgefährdete Vogelarten. Die Wiesenschaumzikade gehört zu den am weitesten verbreitetsten Vertretern, sie ist an vielfältige Lebensräume angepasst und in ihrer Nahrung flexibel. Das 5-7 Millimeter große Insekt kann 70 Zentimeter hoch springen und hält damit gemessen an seiner Körper­größe den Weltrekord. Ein Mensch müsste im Vergleich auf 200 Meter kommen. Schaumzikaden-Weibchen legen die Eier an die Nährpflanzen der Larven. Diese stechen die Pflanze an, saugen Saft heraus und scheiden ihn als Wasser aus. Proteine lösen die Oberflächenspannung des Wassers, durch das Ein­blasen von Luft entstehen markante Schaumnester. Die  «Kuckucksspucke» bietet den Larven optimale Wachstumsbedingungen und Schutz. Der Schaum ist so fest, dass er auch Regen übersteht.

Segelfalter

Von unseren knapp 200 Tagfalterarten gilt nur ein Drittel derzeit noch als ungefährdet. Der Segelfalter gehört zu den schönsten europäischen Tagfaltern, ist aber durch intensive Landwirtschaft bedroht. Der große Falter ist auffällig gefärbt, seine «Augenflecken» schrecken Fressfeinde ab. Er liebt sonnige, warme Lebensräume wie trockene Magerrasen und Weinberge. Männliche Segelfalter zeigen wie der verwandte Schwalbenschwanz ein ausgeprägtes Gipfelbalz-Verhalten. Um Weibchen zu sehen und von ihnen gesehen zu werden, fliegen sie immer wieder auf Hügel oder Berge, um dann an den Hängen hinunter zu segeln. Die weiblichen Falter legen die Eier an den Futterpflanzen der Raupen ab. Um Fressfeinde zu täuschen, sieht die Raupe zunächst Vogelkot zum Verwechseln ähnlich. Nach der ersten Häutung ist die Raupe bis zur Verpuppung grün gefärbt. Bei Bedrohung stülpt sie eine Nackengabel aus, die etwa Ameisen durch ihre Farbe, eigentümliche Form und ein übel riechendes Sekret vertreibt.

Dungkäfer

Von den über 100 Dungkäferarten in Deutschland steht bereits die Hälfte auf der Roten Liste. Die Käfer verwerten den Dung ganz unterschiedlich. Eine Gruppe gräbt Tunnel ins Erdreich und bringt den Kot dort ein, eine weitere lebt direkt vor Ort im Dung. Die dritte Gruppe kommt im Norden nicht vor – die «Rollers», sie formen Dungkugeln und rollen diese mit den Hinter­beinen auf direktem Weg in die Bruthöhle. Dafür orien­tieren sie sich auch an der Milchstraße – sie drehen sich auf der Dungkugel im Kreis und erstellen einen Schnappschuss des Sternenhimmels. Dungkäfer spielen eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft. Sie sorgen für einen gut belüfteten und nährstoffreichen Boden, helfen Pflanzensamen zu verbreiten, unter­drücken die Ausbreitung von Parasiten und verringern den Methanausstoß von Kuhfladen. Gefährdet wird der Dungkäfer durch die abnehmende Zahl von Weidetieren und Medikamentenrückstände im Kot, die für ihn tödlich sind.

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