Aufbruch in eine grüne Filmwirtschaft

Seit der ersten Weltklimakonferenz vor 40 Jahren diskutiert die Weltgemeinschaft darüber, wie der Klimawandel eingedämmt werden kann. Dringender Handlungsbedarf besteht in jedem Bereich der Gesellschaft – auch in der ressourcenintensiven Filmbranche. Welche Ansätze gibt es hier?

Der Artikel von Ines Meier erschien am 14. März bei Kino-Zeit.

Vor 40 Jahren fand die erste Weltklimakonferenz statt. Seitdem wurde auf vielen weiteren Klimakonferenzen diskutiert, wie der menschengemachte Klimawandel eingedämmt werden kann. Während Extremwetterverhältnisse auch in Deutschland zunehmen und steigende Meeresspiegel inzwischen ganze Inselketten bedrohen, geht es in Sachen Klimaschutz auf globaler und nationaler Ebene nur in Millimeterschritten voran.

Wenn uns etwas an der Zukunftsfähigkeit unseres Planeten liegt, müssen wir den postmodernen Zynismus, diese aalglatte Rüstung unserer bequemen Hoffnungslosigkeit, ablegen. Wir müssen, wie aktuell die Fridays for Future-Bewegung, den Druck auf die Politik erhöhen. Und wir müssen in jedem Bereich unserer Gesellschaft die Ärmel hochkrempeln. Das gilt auch für die ressourcenintensive Filmbranche, die mit der Kraft ihrer Reichweite einen großen Beitrag zur Bewusstseinsbildung über den Klimawandel leisten kann. Jüngstes Beispiel ist der rote Teppich der diesjährigen Berlinale, der aus alten Fischernetzen und anderem Nylonabfall bestand und ein publikumswirksames Zeichen für nachhaltige Entwicklung setzte. Welche Filme setzen sich also mit dem Thema Klimawandel auseinander? Und welche Ansätze gibt es in der Branche, CO2-Emissionen zu sparen?

DOKUMENTARFILME – DIE VISIONÄRE

Der Dokumentarfilmbereich erlebt in den vergangenen Jahren eine wahre Flut an großen und kleinen aktivistischen Filmen. Zu den sehr großen Gesten (mit Heroisierungs-Tendenz) gehört der oscarprämierte Eine unbequeme Wahrheit(2006) mit dem Klimaaktivisten Al Gore, immerhin der dritterfolgreichste Dokumentarfilm der Geschichte. Während der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat doziert, führt UN-Klimabotschafter Leonardo DiCaprio als Recherchierender durch The 11th Hour (2007) und Before the flood (2016). Guardians of the Earth (2018) portraitiert eindrücklich die diplomatische Zerreißprobe der Klimakonferenz in Paris 2015. Den Präsidenten der Malediven bei seinem Kampf gegen den Anstieg des Meeresspiegels begleitet The Island President(2011). Tomorrow (2015) stellt erfolgreiche nachhaltige Initiativen aus zehn Ländern vor. Einzelne Aspekte des Klimawandels werden in einer Vielzahl an Dokumentarfilmen behandelt – ob erneuerbare Energien (Power to changeWorauf warten wir noch?), zukunftsfähige Landwirtschaft und Ernährung (10 MilliardenUnser Saatgut) oder Konzernmacht (Bottled Life, Die grüne Lüge). Die Liste ließe sich mühelos fortsetzen. Dabei dominieren Filme, die man als angewandte Klimapsychologie bezeichnen könnte. Sie deprimieren ihr Publikum explizit nicht in die Ohnmacht hinein, sondern formulieren Lösungsansätze und ermutigen dazu, das eigene Verhalten zu ändern und sich zu engagieren.

Im visionären Kampfgeist darf man jedoch nicht vergessen, dass der Dokumentarfilm-Besucheranteil in Deutschland bei einem Prozent liegt. Der Spielfilm hat also ein ungleich größeres Potential, mit diesem Thema ein breites Publikum zu erreichen. 

SPIELFILME – DIE (POST-)APOKALYPTIKER

Der Spielfilmbereich konzentriert sich, meist als Science-Fiction, auf die Zeit nach dem Klimakollaps – und entlässt damit implizit seine Figuren aus der Verantwortung. Ein Klassiker ist Richard Fleischers Soylent Green (1973), in dem sich ein Polizist schweißüberströmt durch ein von Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Ressourcenmangel und brennender Hitze gezeichnetes New York kämpft. Im von Roland Emmerich produzierten Hell (2011) hat die Strahlkraft der Sonne so zugenommen, dass der Aufenthalt unter freiem Himmel lebensbedrohlich wird. Steigende Meeresspiegel setzen in Nuoc 2030(2014) das Ackerland in Südvietnam oder in Waterworld (1995) ganze Kontinente unter Wasser. In Interstellar (2014) ist die Biosphäre so zerstört, dass die Menschheit die Erde verlassen muss. Mit viel gutem Willen könnte die Animationsfilmreihe Ice Age (2002-2016) als Systemkritik durchgehen – hier löst eine Eichhörnchen-Ratte mit ihrem Eichel-Fanatismus jede Klimaschwankung aus. Gleich doppelt verbockt hat es unsere Spezies in Snowpiercer (2013). Die gegen die Klimaerwärmung eingesetzten chemischen Kältemittel haben die Erde in eine Eiswüste verwandelt. Aber sie haben es immerhin versucht! Apropos: Der ziemlich alberne Spielfilm Downsizing will der Überbevölkerung beikommen, indem er die Menschen mitsamt ihrem ökologischen Fußabdruck schrumpft. Frischer kommt Gegen den Strom (2018) daher – hier sabotiert eine isländische Klimaaktivistin mit Pfeil und Bogen multinationale Energiekonzerne. 

THE DAY AFTER TOMORROW

Auf mehreren Ebenen eine Ausnahme ist Roland Emmerichs kommerziell erfolgreicher Sci-Fi-Blockbuster The Day After Tomorrow (2004). Als eine Art Weckruf wollte er für den Klimawandel sensibilisieren und zu ökologischem Engagement anregen. Im Film kühlt der Golfstrom durch das Abschmelzen der Polkappen dramatisch ab, das Leben auf der Nordhalbkugel vereist in rasender Geschwindigkeit. Die überlebenden US-Amerikaner müssen in Mexiko geläutert um Asyl bitten. Realitätsnah ist die Darstellung eines Wissenschaftlers, der seine alarmierenden Forschungsergebnisse auf einer Klimakonferenz präsentiert. Diese werden so lange von der Politik (eine deutliche Kritik an der Bush-Regierung) ignoriert, bis es für die Verhinderung des Kollapses zu spät ist. The Day After Tomorrow gilt als erster klimaneutral produzierter Film, die verursachten CO2-Emissionen wurden durch die Finanzierung von Aufforstungsprojekten ausgeglichen. Eine Studie untersuchte die Auswirkungen des Films auf das Bewusstsein des Kinopublikums für den Klimawandel. Tatsächlich waren die Zuschauer kurzfristig stärker besorgt, hatten aber Schwierigkeiten, Fakten von Dramaturgie zu unterscheiden – dadurch hielten sie Extremereignisse, die durch den Klimawandel ausgelöst werden können, für weniger wahrscheinlich. Nach dem Film waren viele Zuschauer sehr motiviert, sich gegen den Klimawandel zu engagieren – hatten aber keine Informationen darüber, was sie tun können.  

GRÜNE FILMPRODUKTION

Die Filmindustrie ist sehr ressourcenintensiv – Technik und Fuhrparks haben einen enormen Energieverbrauch, die Bereiche Ausstattung und Catering produzieren Unmengen an Müll. Eine Studie, die 2006 veröffentlicht wurde , benennt Hollywood in der Region Los Angeles als zweitgrößten CO2-Emittenten – direkt nach der Ölindustrie. Vergleichbare Zahlen liegen für Deutschland noch nicht vor, die Branche stellt sich aber zunehmend auf, auch wenn einheitliche ökologische Standards, bundesweite Richtlinien und „grüne“ Produktionsberater in ausreichender Zahl bisher fehlen. Die Film Commission der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) etwa vergibt seit 2012 den Grünen Drehpass , der ökologische Produktionsabläufe zertifiziert. Dazu gehören Maßnahmen wie Mülltrennung, Ökostrom, Fahrgemeinschaften und der Einsatz von Mehrweggeschirr sowie regionalen und saisonalen Lebensmitteln im Catering. „Wir waren die Pioniere“, sagt Christiane Dopp von der Film Commission. „Unser Erfolgsrezept ist, dass wir nicht aufgehört haben.“ Bisher wurden 140 Grüne Drehpässe vergeben, die Zahl der Bewerbungen nimmt stetig zu. Eine Kooperation mit der Hamburg Media School gibt es seit 2013, alle Abschlussfilme werden grün produziert. Im vergangenen Jahr wurden 21 Filme ausgezeichnet, darunter auch die Berlinale-Beiträge Der Goldene Handschuhund Systemsprenger. Es ist angedacht, den Grünen Drehpass künftig bundesweit in den Regionalförderungen zu etablieren. Dopp nennt diesen Schritt einen „riesengroßen Umbruch“. 

Zu weiteren Vordenkern im Bereich grüner Filmproduktion gehören der Regisseur und Produzent Philip Gassmann, der Regisseur Lars Jessen sowie die Dozentin, Beraterin und Sustainable Production Managerin Korina Gutsche. Gassmann war freier Nachhaltigkeitsmanager der Bavaria Film Studios, die als erster klimaneutraler Produktionsstandort der Welt gelten, und bietet in Kooperation mit der FFHSH Workshops zum Thema Green Film Shooting an. In einer Anhörung vor dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung , bei der auch Korina Gutsche und Christiane Dopp als Sachverständige auftraten, schildert er, dass alternative Techniken wie große LED-Scheinwerfer zwar existieren, aber in Deutschland bei Verleihern und Dienstleistern nicht erhältlich sind. Deshalb sollte die Regierung den Technologiewechsel unterstützen. Plastikbecher, Fleisch und fliegen, so fasst Lars Jessen die Handlungsfelder zusammen. Er zahlt Schauspielern beispielsweise das Bahnticket für das Casting und achtet auf vegetarisches Catering. Korina Gutsche gibt regelmäßig Seminare zum Thema Grüne Produktion, u.a. für die Berlin Brandenburg Film Commission, die Produzentenallianz und die Filmuniversität Babelsberg und veröffentlichte kürzlich einen Fachbeitrag zu Nachhaltigkeit in der Medienbranchebei Springer. Vorreiter sind auch die MFG Filmförderung Baden-Württemberg, die 2015 ihre Nachhaltigkeitsinitiative startete, Workshops anbietet und einen grünen Berater am Set fördert, sowie der TV-Sender Sky, dessen Produktionen grünen Standards folgen. 

In den Kinderschuhen steckt das Thema Green Storytelling. Dass etwa Jugendliche eher mit dem Rauchen beginnen, wenn sie Kinofilme sehen, in denen geraucht wird, ist in zahlreichen Studien belegt. Der boomende Verzehr von Wildschweinfleisch – Wild ist die nachhaltigste Alternative zum Klimakiller Massentierhaltung – Ende der 1960er Jahre wird auf die Popularität der Comics und Filme um die Gallier Asterix & Obelix zurückgeführt. Wenn uns also die Bilder, die wir sehen, so stark prägen – wäre es nicht sinnvoll, wenn Filmfiguren vermehrt Rad fahren und Thermo-Becher statt Coffee-to-Go-Pappirrsinn durchs Set tragen würden? „Das Thema Green Storytelling ist noch nicht sehr weit verbreitet diskutiert,“ sagt dazu Birgit Heidsieck, Beraterin für Grünes Kino bei der nationalen Filmförderanstalt (FFA), und gibt zu bedenken, dass eine Verankerung des Green Storytelling in der Filmförderung die künstlerische Freiheit einschränken könnte. Schnell landet man mit dieser Frage wieder bei der FFHSH und Philip Gassmann, die für Workshops zum Thema kooperieren und auch aktiv auf Autoren der Hamburg Media School zugehen. 

GRÜNE KINOS

Die Ressourcen Energie, Wärme und Wasser sind große CO2-Faktoren im Kinobetrieb, ebenso Abfallmanagement und Verkehrsmittel der Besucher. Die FFA hat 2018 das „Grüne Kinohandbuch “ veröffentlicht, das eine große Bandbreite an Möglichkeiten in den Bereichen Abfallmanagement, Energieeffizienz, Ökostrom und Concession aufzeigt. „Ob Energie eingespart, eigener Strom produziert oder Alternativprodukte eingesetzt werden – die Prämisse lautet stets, dass Ökologie nicht ohne Ökonomie funktionieren kann“, sagt Birgit Heidsiek, Verfasserin des Kinohandbuchs und Herausgeberin des Magazins Green Film Shooting . Vor allem im Bereich Energieeffizienz lassen sich zahlreiche Maßnahmen realisieren. Größere Investitionen wie Gebäudedämmung oder die Installation einer neuen Lüftungsanlage zahlen sich mittelfristig durch erhebliche Einsparungen aus. Veraltete Lüftungsanlagen sind oft für mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs im Kino verantwortlich. Das Grüne Kinohandbuch werde sehr gut angenommen. Aktuell wird in der FFA die Frage bearbeitet, wie grüne Kinoforderung konkret aussehen könnte. Beschlüsse seien derzeit aufgrund der Komplexität des Themas noch nicht absehbar, aber „je eher, desto besser“, so Heidsiek.

Im Arthouse-Bereich untersucht das Projekt „KINO Natürlich “ der AG Kino-Gilde, die als Interessenverband 330 Filmkunsttheater in Deutschland vertritt, wo und wie CO2-Emissionen eingespart werden können. Das Projekt wird gefördert vom Umweltministerium und dem Umweltbundesamt. „Jede Maßnahme, die Ressourcen spart und CO2-Emissionen reduziert, zählt, um die globale Erwärmung zu mindern,“ sagt Projektkoordinatorin Korina Gutsche. Eine Mitglieder-Befragung ergab ein sehr hohes Klimabewusstsein. Die überwiegende Mehrheit nutzt etwa bereits Ökostrom und LED-Lampen. Ebenfalls ermutigend – im Unterschied zum Multiplex-Bereich – ist, dass nur noch 14% der Kinos Einweggeschirr einsetzen. Bundesweit nehmen sechs Referenzkinos an dem Projekt teil, in denen konkrete Maßnahmen wie die Optimierung von Klima-, Heizungs- und Lüftungsanlagen, ökologische Modernisierung oder die Einführung fairer und regionaler Produkte umgesetzt werden. Ziel des Projekts bis Ende 2019 ist die Erstellung eines Onlineportals als Informations- und Serviceplattform für Kinobetreiber mit praxisnahen Empfehlungen und Leitlinien für CO2-Reduktionen. Diese soll auch durch den komplizierten Förder-Dschungel helfen. „Unser Bildungsanspruch als Arthouse-Kinos bedeutet außerdem, dass wir eigene Programme mit Filmen zu ökologischen Themen anbieten“, erklärt Gutsche. 

Ein Nachhaltigkeitskonzept erarbeitet auch Cineplex, eine der größten Kinoketten in Deutschland. Eine Umfrage zum Status quo der Kinos ist abgeschlossen, seit Anfang des Jahres wird das Projekt umgesetzt. Ziel sei eine signifikante Reduzierung von Plastikmüll und eine Prüfung des Themas Kreislaufwirtschaft, erklärt Projektleiter Walter Spruck vom Institut für Nachhaltigkeit in Kultur und Tourismus. „Lösungen gibt es nur über die Wertschöpfungskette“, das System sei über Jahrzehnte eingefahren und müsse an allen Stellen verändert werden. Spruck ist optimistisch: „Wenn es so wird, wie wir es uns wünschen, wird es eine Branchenlösung.“ Das Thema Nachhaltigkeit habe inzwischen Rückenwind, selbst die ausgeprägte Trennung zwischen E- und U-Kultur in Deutschland wird durchlässiger. Diese habe bisher die Kooperation verschiedener Akteure behindert. „Aber jetzt kommen wir in eine Zeit, wo Veränderungen auch über diese Grenze hinweg möglich sind.“ 

Die ressourcenintensive Branche hat also ihre Verantwortung und Vorbildfunktion inzwischen erkannt und setzt sich in Sachen Klimaschutz in Bewegung. Die vielen Ebenen von der Produktion über inhaltliche filmische Schwerpunkte bis hin zur Festival- und Kinoauswertung, die sie dafür justieren muss, sind dabei eine riesige Herausforderung – aber auch ihr großes Potenzial.

Foto: “Guardians of the Earth” ©W-film / Soleil Film