Für die Tierzucht ist die Open Source Lizenz ein völlig neues Konzept, zu dem noch keine Erfahrungswerte vorliegen. Die Idee lässt sich sicher sehr gut aus dem Saatgutbereich übertragen. Politisch muss verhindert werden, dass Patentansprüche auf Tiere überhaupt entstehen. Ein Gespräch mit Christoph Zimmer.
Das Interview mit Christoph Zimmer führte Ines Meier im Juli 2018 für die Heinrich Böll Stiftung.
CHRISTOPH ZIMMER ist Schweinebauer und arbeitet seit 1996 bei der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall und seit 2007 als Geschäftsführer des Ecoland Anbauverbandes. Seit 1998 beschäftigt er sich mit den Auswirkungen der Agrogentechnik auf die Landwirtschaft. Aktiv tritt er gegen die Patentierung von Leben ein und hat mit dazu beigetragen, dass 2010 das „Schweinepatent“ von Monsanto widerrufen wurde. Er gehört zu den Gründern des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik und ist dort seit 2010 im Vorstand aktiv.
Alle Welt redet über Bayer und Monsanto: Der globale Saatgutmarkt wird von nur wenigen Konzernen kontrolliert. Wie sieht das bei den Nutztieren aus?
Der Tierbereich gestaltet sich unübersichtlicher. Hier gibt es relativ viele Anbieter, die mit wenigen Rassen arbeiten.
Gibt es Patente auf Nutztierrassen?
Per Gesetz gibt es in der Europäischen Union keine einzige patentierte Tierrasse. Leider ist das bloße Theorie. Die Konzerne wenden hier eine andere Strategie an als im Saatgutbereich. Sie lassen nicht die Tierrasse patentieren. Stattdessen beschreiben sie beispielsweise ein Zuchtverfahren und leiten daraus einen Rechtsanspruch auf Tiere allgemein oder eine bestimmte Rasse ab. Sie sichern sich also Patente auf Eigenschaften, Zuchtverfahren oder Erkenntnisse, die sich aus der Beschreibung von Tierrassen herleiten lassen. Das bedeutet, dass man auf den ersten Blick gar nicht weiß, ob eine Tierrasse von einem Patent betroffen ist.
Was genau haben Konzerne von solcherart Patenten?
Sie versuchen sich Patente an Leben zu sichern. Monsanto ist in dem Bereich schon vor Jahren mit einer ganzen Reihe von Patenten hervorgetreten. Sie haben beim Europäischen Patentamt 12 Patente rund ums Schwein eingereicht, die ganz unterschiedliche Richtungen hatten – von der Beschreibung von Zuchtverfahren bis zur Geschlechtsbestimmung von Sperma
Sie waren damals an dem Sammeleinspruch gegen das „Schweine-Patent“ von Monsanto beteiligt, für den sich ein breites Bündnis aus Umweltschützer/innen, Bauern und Bäuerinnen sowie Kirchenvertreter/innen zusammengeschlossen hatte. Daraufhin widerrief das Europäische Patentamt 2010 seine Entscheidung. Im Saatgutbereich werden Open Source Lizenzen eingesetzt, um Vielfalt zu erhalten und Konzernmacht zu beschränken. Wäre das auch im Tierbereich eine geeignete Strategie?
Das Thema Open Source ist ein wichtiges Anliegen. Die vielen Bauern sollten die Rechte an der Tier- und Pflanzenzucht haben. Wenn diese Kontrolle bei nur wenigen großen Konzernen liegt, haben sie eine riesige Macht, die leicht missbraucht werden kann. Für die Tierzucht ist die Open Source Lizenz ein völlig neues Konzept, zu dem noch keine Erfahrungswerte vorliegen. Die Idee lässt sich sicher sehr gut aus dem Saatgutbereich übertragen. Ob sie juristisch hält, wissen wir noch nicht. Aber wenn wir beobachten, dass Konzerne versuchen, Rechte an Tieren zu erlangen, sollten wir zu allen verfügbaren Mitteln greifen, um die Tierzucht in bäuerlicher Hand zu halten.
Der Mangel an Vielfalt ist im Saatgutbereich ein großes Problem hinsichtlich der Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel – ist das bei Tieren ähnlich?
Auch im Tierbereich haben wir einen gewaltigen Verfall an Vielfalt. Nach dem 2. Weltkrieg gab es in Deutschland noch 20 eigenständige Schweinerassen – jetzt sind es noch drei. Weltweit werden nur eine Handvoll Schweinerassen eingesetzt, die auf verschiedene Arten miteinander gekreuzt werden. Dadurch haben wir sehr viel Fleischqualität und Robustheit verloren.
Bis auf winzige Nischen ist die Tiererzeugung klimaschädlich. Bleiben wir beim Schwein. Da wird fast ausschließlich mit sehr energiehaltigem Futter gearbeitet und die Tiere werden auf Fleisch gezüchtet. Es würde helfen, wenn wir Tiere nutzen, um Futter zu verwerten, das nicht in direkter Konkurrenz zu menschlicher Nahrung steht. Traditionell wurden Schweine ja verwendet, um aus den Resten, die der Mensch nicht verwertet hat, ein hochwertiges Lebensmittel herzustellen. Die Tiere wurden in natürliche Kreisläufe einbezogen.
Sie überlegen eine Open Source Lizenz für die Schweinezucht einzusetzen. Wie würden Sie bei der Entwicklung eines Open Source Schweins vorgehen?
Das Besondere ist ja die Vielfalt. Das Schwäbisch Hällische Edelschwein wurde beispielsweise von Bauern auf das Zusammenleben von Mensch und Tier hin entwickelt. Es würde also darum gehen, viele verschiedene Schweine zu züchten, die möglichst gut an die jeweiligen Verhältnisse angepasst sind. Zu unseren traditionellen Eigenschaften gehört eine sehr gute Fleischqualität. Robustheit ist wichtig – die Tiere stehen auf der Weide und sind weniger anfällig für Krankheiten. Die Schweine sollen nicht in kurzer Zeit viel Leistung bringen, sondern ein langes Schweineleben haben. Dafür brauchen sie eine gesunde Kondition und Verdauung. Sie kommen sehr gut mit Futter klar, das vor Ort wächst.
Sie sprechen sicher mit anderen Züchtern über die Open Source Lizenz. Wie sind die Reaktionen?
Grundsätzlich sind Jedem Tausende von Bauern als Hüter der Nahrung sehr viel lieber als drei Konzerne. Für das Bewusstsein über die Bedrohung der Tierzucht ist aber noch ein weiter Weg zu gehen. Als einzelner Bauer hat man oft das Gefühl, nichts bewirken zu können. Die Macht, die wir haben, wird von vielen völlig unterschätzt. Wir haben politische Vertretungen. Wenn nur 20 Bäuerinnen und Bauern bei dem Abgeordneten in ihrem Wahlkreis auf der Matte stehen und sagen, in diesem Bereich musst du was ändern, entsteht der Leidensdruck auch beim Politiker. Und wenn dieser Leidensdruck nicht nur bei einem Politiker entsteht, sondern an verschiedenen Stellen und eine große Bewegung in dem Bereich Aufklärung betreibt, dann können wir auch was verändern.
Wenn sie einen Blick in die Zukunft werfen: Wann wird es die ersten „freien“ Würstchen geben?
Das kann ich nicht prognostizieren. Politisch muss verhindert werden, dass Patentansprüche auf Tiere überhaupt entstehen. Im Prinzip besteht darüber ein gesellschaftlicher Konsens – jeder Verbraucher würde Patente auf Tiere ablehnen. Aber die Praxis sieht eben anders aus. Deswegen müssen wir verschiedene Wege gehen und ein Weg ist die Open Source Lizenz. Wenn die Ernährung der Welt in die Hände von nur wenigen Konzernen kommt, muss man auch globale Nahrungsströme und die Verteilung von Nahrungsmitteln thematisieren.
Foto: Schwäbisch-Hällisches Schwein, Marco Verch/Flickr (CC BY 2.0)